Acht Jahre nach ihren letzten Auftritten trat Karin Dreijer alias Fever Ray ausgerechnet im Wiener Gasometer (19.2.2018) zum großen Comeback an. Bewaffnet mit ihrem neuen Album „Plunge“, kruden Kostümierungen und wichtigen Botschaften kam die dissonante Electronic-Künstlerin aber nur sehr mühsam in Fahrt. Aber aller Anfang ist schwer. Es war absehbar, dass das elektronische Indie-Projekt The Knife, das Karin Dreijer jahrelang sehr erfolgreich mit ihrem jüngeren Bruder Olof betrieb, viel zu eng gesteckt für die weitläufige Weltsicht der 42-jährigen Schwedin werden würde. Als die Band das erste Mal eine Pause einlegte, veröffentlichte sie 2009 mit „Fever Ray“ das Debütalbum zu ihrem gleichnamigen Soloprojekt, mit dem sie in der Alternative-Underground-Welt mit leichtfüßiger Souveränität reüssierte und sich als Marke neu erfand.
Für die Öffentlichkeit inszenierte sie sich als Hexe und der Kontakt zu den Medien war ihr ebenso zuwider wie die Entblößung ihrer selbst. Dreijer entschwand hinter dem Kunstprojekt Fever Ray und alle beiden Persönlichkeiten verschwanden nach dem Ende von The Knife 2014 und der undefiniert langen Pause im Solo-Outfit völlig von der Oberfläche.
Feminismus & Queerness
Letzten Oktober tauchte Fever Ray zuerst mit YouTube-Snippets, einer Single und dem digital erhältlichen Album „Plunge“ plötzlich ins Rampenlicht zurück und entzweite das aufgebaute Fanlager. Die einen jubelten über die hörbare Weiterentwicklung hin zu einem noch industrielleren, manchmal auch bekömmlicheren Sound, andere wiederum mokierten die klangliche Veränderung der Schwedin. Für Dreijer ist „Plunge“ vor allem die vertonte Antwort auf eine schwierige Selbstfindungsphase. Die Mutter zweier Töchter hat sich zwischenzeitlich nicht nur scheiden lassen, sondern ist tief in die Welt des Feminismus und der Queerness getaucht und kokettiert in den dazugehörigen Videos mit skurril-verängstigenden Verkleidungen, einer radikal wirkenden Form der Selbstdarstellung und harten BDSM- und Fetisch-Anspielungen.
Die Spannung der Fans im gut, aber bei weitem nicht vollgefüllten Gasometer war groß – immerhin eröffnet Fever Ray an diesem Abend in Wien ihre ganze Welttournee, die sie im Laufe des Jahres noch durch Europa, in die USA und auf unterschiedlichste Festivalbühnen hieven wird. Dass es nach so langer Live-Auszeit zu diversen Unsicherheiten kommt, ist verständlich und wird von den Anwesenden charmant weggefeiert, doch bis das Sechs-Frauen-Kollektiv auf der Bühne für Begeisterung und Jubel sorgt, vergeht eine gute halbe Stunde. In der strampeln sich Dreijer und ihre zwei Nebensängerinnen Helena Gutarra und Maryam Nikandish in kruden Kostümen vor vernebelten Lichteffekten ab, während zwei Percussionistinnen und die Elektronik-Künstlerin Mikaela Hansson für den meist dissonant vorgetragenen Instrumental-Stamm sorgen.
Luft nach oben
Die optische Gefährlichkeit bleibt aber aus. Während die Videos zu den neuen Songs nicht mit verstörenden Bildern und Botschaften geizen, wirkt der sexuelle Selbstfindungstrip der Hauptprotagonistin auf der Gasometer-Bühne eher verhalten bis schüchtern. Sexuelle Anspielungen finden nur vereinzelt und handzahm statt, die aus Quadern und Halogenleuchten reflektierenden Lichteffekte hätte Fever Ray angesichts des ambitionierten Projekts durchaus mit aussagekräftigen Visuals verstärken können. So begleitet die Show stets der schale Beigeschmack, dass die visuellen Effekte wesentlich extensiver hätten ausgereizt werden können. Songs wie „Wanna Sip“, „This Country“ oder das als Single bekannte „To The Moon And Back“ entfachen dennoch ihre hypnotisierende Wirkung und fordern die Anwesenden zu konzentrierter Aufmerksamkeit. Auf Material ihrer The-Knife-Zeit verzichtet Dreijer erwartungsgemäß völlig, doch das etwa 75-minütige Set wird auch mit Solomaterial aus den beiden Fever-Ray-Alben getragen. Gegen Ende lässt das Sextett die Synthies wabern und zieht die Temposchraube an, um dem zähflüssigen Beginn ein memorables Ende entgegenzusetzen.
Die große Konzertexplosion war die vielgepriesene Live-Rückkehr von Fever Ray nicht, doch mit wichtigen Themen wie Geschlechtsneutralität, Feminismus, Abkehr von patriarchalischen Strukturen oder sexueller Selbstbestimmung über alle gängigen Grenzen hinweg würde das gesellschaftskritische Projekt ohnehin besser auf ein performatives Festival wie das „Impuls“ oder das „Donaufestival“ in Krems passen. Dreijer regt auch live zum wichtigen Diskurs an und rüttelt vehement an festgelegten Normen und verkrusteten Strukturen. All das darf partiell auch in bekömmliche Pop-Melodie gewickelt sein. Michel Foucault wäre stolz auf die musikalische Nachfahrin seiner Gedankenwelt.
Live-Review by Gast-Autor ROBERT FRÖWEIN (Musikredakteur, www.krone.at)
Fotos by HERBERT P. OCZERET
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