Sehr, sehr lange hat sich Roger Waters für sein neues Studio-Album „Is This The Life We Really Want?“ Zeit gelassen. Exakt ein Vierteljahrhundert, also 25 Jahre nach dem sensationellen Rock-Album „Amused To Death“ veröffentlicht der ehemalige Pink Floyd-Sänger, Bassist, Texter und Komponist mit „Is This The Life We Really Want?“ ein neues Album. Sein viertes Solo-Album nahm der 73-jährige Waters gemeinsam mit Jonathan Wilson (Gitarren, Keyboards), Gus Seyffert (Bass, Gitarren, Keyboards), Joey Waronker (Schlagzeug), den Keyboardern Roger Manning und Lee Pardini sowie den beiden Lucius-Sängerinnen Jessica Wolfe und Holly Proctor auf. Gemischt und produziert wurden die zwölf von Roger Waters geschriebenen Songs von Nigel Goodrich (U2, Radiohead, Paul McCartney, Beck), der auch für die Soundcollagen und Arrangements zuständig war und noch zusätzlich Gitarren und Keyboards spielte.
„Is This The Life We Really Want?“ ist fast ein Pink Floyd-Album – ohne die noch lebenden Mitglieder David Gilmour (Vocals, Gitarre) und Nick Mason (Drums) – geworden. Waters greift den musikalischen Faden der Pink Floyd-Alben wie „Animals“, „Wish You Were Here“ und „The Wall“ auf und so ist sein neues Polit-/Zeit-Statement ein typisch unruhiger Mix aus nachdenklich-ruhigen Passagen und überbordendem Bombast und Pathos. Aber um wirklich ein Pink Floyd-Album sein zu können, fehlt hier eindeutig Gilmour’s Gitarre, die den Sound perfekt gemacht hätte. Waters hat nämlich die E-Gitarre auf seinem neuen Werk total in den Hintergrund gerückt und das ist jammerschade. Dennoch sind die Kompositionen wie gewohnt rotzig frech, zornig süffisant und morbid leidend. 25 Jahre sind seit dem letzten Studio-Album vergangen, aber Roger Waters beweist seine unglaubliche Klasse auch nach der langen Pause und in seinem achten Lebensjahrzehnt eindrucksvoll und geradezu jugendlich spritzig frech! Aufmümpfig sowieso!
„When We Were Young“ ist sowas wie ein Opener für dieses Konzept-Album, das Ticken einer Uhr kennt man ja vom Jahrhundert-Song „Time“, dazu redet und schreit er Wortfetzen wie „Konfusion“ oder „When we were young“ etc. ins Mikro. Ein irgendwie schräges Intro, das so manchen Nicht-Waters-Fan gleich mal voll vor den Kopf stösst… Der Song geht nahtlos über in „Deja Vu“, ein Song, den er früher schon als „If I Had Been God“ live spielte. Im Text besingt er alles, was er besser gemacht hätte, wäre er Gott… Naja, zumindest ist es ein guter Song geworden, der in der Mitte durch Soundfetzen gestört wird, aber ansonsten nett klingt. „The Last Refugee“ wartet zu Pianoklängen mit Soundcollagen auf, wieder Zeitansagen und Radio-Moderationen… dazu singt der Meister über Zukunftshoffnungen einer Flüchtlingsfamilie, die er im Meer ertrinken lässt… Zeitgemässes Kopfkino mit aufzeigen allerlei Miss-Stände, aber ohne jedwede Lösungsvorschläge. Musikalisch ist das Ganze auch eher ein Verlegenheitsbrei… Dann kommt aber „Picture That“ und das kann was! Der Song erinnert vom Groove her schwer an „Welcome To The Machine“, dazu ohrenvertraute Synthesizerklänge und pumpende Bässe. Ein durchwachsener Song, der zu 100% aus der erfolgreicheren Pink Floyd-Phase stammen könnte. Und wenn er nicht so ein elendiger Sturschädel wäre, hätte er sich David Gilmour als Gastmusiker ins Studio geholt und alles wäre perfekt geworden! Dennoch einer der besseren Songs des Albums! Dazu mahnende Worte wie „stellt euch eure Kinder mit der Hand am Abzug vor…“, „stellt euch ein Gerichtshaus ohne verfickte Gesetze vor“ oder „stellt euch ein Bordell ohne Huren vor“… dann Zuggeräusche, Wind und ein fade out… Bei „Broken Bones“ greift er noch einmal das Weltkriegsthema auf, singt dazu hingebend nur zu Akustik-Gitarre, Piano und Streicher-Quartett und nach allem jammern und sudern kommt er schliesslich zur Erkenntnis „Wir können die Uhr nicht zurückdrehen, wir können nicht in der Zeit zurückreisen, aber wir können „fuck you“ sagen und nicht mehr auf alles hören…“ Eine sehr eindringliche Mahnung, den Populisten und Kriegshetzern nicht (mehr) auf den Leim zu gehen. Es folgt der Titeltrack „Is This The Life We Really Want?“. In diesem Song rechnet Waters mit Trump und Konsorten ab und prangert die Gesellschaft und ihre politischen Vertreter an. Musikalisch geht alles in schrägen Moll-Klängen höhepunktlos dahin, aber das ist sicher so gewollt, denn es geht ja um den Text… Erdogan, Trump und LePen werden sich nicht um diese Ermahnungen und seinen politischen Aufschrei kümmern, aber WIR sollten das tun! Jedenfalls geht der Titeltrack nahtlos in „Bird in A Gale“ über, der auch aus dem Album „Animals“ stammen könnte. Waters singt sich zornig und leidenschaftlich wie schon lange nicht mehr den Frust aus der Seele, Soundfragmente und repetative Ansagen im Mittelteil, ehe der Meister mit endlos Delay auf der Stimme am Schluss der Nummer eine Explosion einfach weglacht!
„The Most Beautiful Girl“ ist dann eine bittersüsse Ballade, die vor Weltschmerz nur so trieft, Roger’s Seele ist verletzt, sein Glauben an die Menschheit nach all den mahnenden Songs über die Jahrzehnte schwer getroffen und doch ist die Hoffnung immer noch am Leben… Ein wunderschöner Song trotz bedeutungsschwangerer Lyrics. Und am Ende lässt der schöne Frauenchor hoffen… „Smell The Roses“ ist dann der rockigste Song und könnte ebenso aus der „Animals“-Ära stammen. Jedenfalls stellen bellende Hunde, treibende Grooves und Sirenen gewisse Parallelen her und dann das erste (schwache) Gitarrensolo. Schmerzlichst wird man immer wieder darauf hingewiesen, wie dieser Art von Musik der geniale Dave Gilmour doch fehlt!!! Der rockigste Songs bisher gehört aber dennoch zu den besseren dieses Albums. Dann ein Klavier und Akustikgitarrengeschrammel, ein Hauch von „Wish You Were Here“ klingt aus den Boxen: „Wait For Her“ ist dann nach all dem wehmütigen Weltschmerz ein versöhnlich balladesker Beziehungsratgeber: „wenn sie zu spät kommt, dann warte auf sie“ und „erinnere dich an deine Versprechen!“… Nahtloser Übergang: Möwengezwitscher, Wellenrauschen und ein wirklich atemberaubend schöner Song! „Oceans Apart“ ist Waters pur, nur der Meister und seine Akustikgitarre. Und auch das geht wieder nahtlos in den letzten Song „Part Of Me Died“ über. Noch einmal Schmerz, diesmal sein Beziehungsdrama, – aber Ende gut, alles gut. Man hat mit manchen Songs Mühe, so manche Klangcollage wirkt hingeschustert, doch dann sind auch diese wirklich sehr guten Songs, die alles wieder wett machen! Klar, unter Waters-Fans ist es ein Meisterwerk und manche meinen sogar, dass Pink Floyd anno 2017 genau so klingen würden… Nein! denn dazu fehlt immer noch das Soundgenie Rick Wright und der begnadete Gitarrist David Gilmour. Und gerade ohne Gilmour’s Gitarre ist und bleibt es „nur“ ein Waters-Solo-Album. Nicht mehr und nicht weniger…
Rating: 8 von 10 Punkten!
CD-Review by TOM PROLL
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