Nach ihrem vielbeachteten Album „Drei Tog“ und ihrer „Gold“-Auszeichnung bei einem Volksmusikwettbewerb im Sommer 2015, erscheint nun mit „In Heobiö eu“ das bereits dritte Album der Familienband LEINÖL aus Julbach in Oberösterreich. Und das neue Album sprengt wieder alle musikalischen Grenzen mit einer Leichtigkeit, dass man dafür kaum Worte findet!
Seit 2009 verbinden sich in diesem Ensemble nicht nur Generationen miteinander – die Eltern musizieren mit ihren Kindern – sondern auch die Wurzeln afroamerikanischer und österreichisch-alpenländischer Musikkultur. Der Bandname LEINÖL ist ein Wortspiel aus Leithen (auf mühlviertlerisch Lei’n bzw. „Lein“), der Julbacher Ortsteil wo die Familie wohnt, und dem Familiennamen Öller. Die Öllers, – das sind die Geschwister Simon, Alexander, Paul, Verena und deren Eltern Peter und Christine. Die Eltern sangen seit vielen Jahren in Unterhaltungsbands, die drei Söhne waren und sind noch immer auf unterschiedlichen musikalischen Wegen von Jazz bis Metal unterwegs und verbinden ihre Einflüsse in diesem Familienprojekt. Am bekanntesten ist wohl Gitarrist Simon Öller, der mit seiner Metal-Band Olemus und seinem Solo-Projekt 7on’s Rastgarden nachhaltig von sich reden machte! Die Familienband Leinöl verbindet alte Volksweisen mit Stilrichtungen wie Afro Beat, World, Funk und Rock und legt dabei großen Wert auf Groove, Improvisation und mehrstimmigen Gesang. Besungen werden kritische aber auch alltägliche Themen.
Aber kruzifix, – was in aller Welt bedeutet „In Heobiö eu“??? Nachgefragt bei Simon Öller, erklärt dieser: „Das kommt vom tiefen Mühlviertler Dialekt und heißt „Den hohen Bühel hinauf“. Dieser Hügel (Bühel) ist unser „Hausberg“.“ Und wenn ich den sympathischen Musiker schon an der Strippe habe, wird noch schnell nachgefragt, wie es eigentlich dazu kam, dass diese Familienband überhaupt entstand? Simon: „Die Band entwickelte sich aus einer Jux-Idee: das bayrische Festival „Pfingst Open Air“ suchte nach einer Frühschoppenband, die Metal und auch Volksmusik-Einflüsse vereint. Meine zwei Brüder und ich überredeten unseren Papa, mitzumachen, und so wurden wir immer professioneller und die Mama und die Schwester kamen auch noch ins Boot. Mittlerweile ist auch eines ihrer Enkerl für spezielle Anlässe mit auf der Bühne.“
OK, rein mit der CD in den Player. Gleich der erste Song „In Heo Biö eu“ beginnt fröhlich und ist irgendwie eine Mischung aus Film-Soundtrack für die „Schwarzwaldklinik“ und ABBA. Irgendwie schräg und doch andererseits melodisch, die musikalische Aufbereitung lässt schon erkennen, dass hier g’standene Musiker am Werk sind und wenn die mehrstimmigen Vocals einsetzen, gibts kein Halten mehr. Einfach ein geiler Song! Also so hatte ich mir das nicht vorgestellt, zumal ja recht viele Gruppen musikalische Hochzeiten zwischen Volksmusik und harten/schrägen Klängen eingehen, denen aber meistens schon mit dem ersten Album die Scheidung droht… Und der zweite Track überrascht mit Reggae-Feeling und -Groove, ein Xylophon bringt karibisches Flair, textlich ist Spass angesagt und den versprüht auch das Lied allgemein! „Eiphone“ heisst dieser Calypso/Reggae/Volksmusik-Verschnitt mit seinem lässig jazzigen Gitarrensolo. Also, ich bin äusserst positiv überrascht! „Dinanderie“ beginnt mit rhythmischen Schlägen auf einen Amboss, also „Sensen dengeln“, dann muht eine Kuh und zu Maultrommel-Untermalung entwickelt sich ein G’stanzl-G’sangl. Eine Mundharmonika im bluesigen Stil kommt unverhofft ins musikalische Geschehen und die mehrstimmigen Vocals sind schon eine feine Sache für sich! Aber Leinöl verstehen es, ihre Hörer auf eine Achterbahnfahrt der musikalischen Stile mitzunehmen und so fügt sich in dieses musikalische Szenario auch der Pink Floyd-ige, sphärische Mittelteil nahtlos ein, ehe der Song mit einem Kuhglocken-Solo (!) endet. Na bitte, sowas habe ich bis dato noch nicht gehört und ich höre seit den Mitt-Sechzigern Musik und spiele selber seit 1974 und habe knapp 30 Jahre Musikjournalismus mit tausenden Rezensionen am Buckel! Fuckin‘ very well done!
Angezerrte Gitarren, Quetschn und ein witziger Text: „Da Buagamoasta“ ist nicht nur ein „Frauenfänger“, es ist auch ein witziger Song mit herrlichen Leadguitar-Fills und einem geilen Gitarren-Solo. Und was am lässigsten ist: Leinöl verwenden die Ziehharmonika nicht so „urtypisch“ quetschig, sondern ein paar Effekte drauf und eher gespielt wie ein Keyboard und schon hat man ein ganz eigenes Flair! Herrlich! „A Doktagschicht“ ist danach ein Blues mit einem sehr witzige Text, in dem es darum geht, dass ein frisch-g’studierter Stadt-Doktor in der Mühlviertler „Oaschicht“ eine Praxis eröffnet und anfangs den Dialekt überhaupt nicht versteht. Im Laufe der Zeit wandelt sich der erdige Blues immer mehr zu einem straighten Boogie, dann ein tolles Gitarren-Solo mit Twin Lead-Guitars am Ende des Songs. Geil! „Des Zölibat“ ist der jazzigste, groovigste und funkigste Track auf dem Album, der Text ist abermals witzig und voller Überraschungen, auch Kritik an der Kirchen-Dogmatik schimmert durch. Erstklassig gesungen, begeistert dieser Song zusätzlich mit Strophen im Rap-Outfit! Und musikalisch lassen die Öller’s hier sowieso absolut nix anbrennen! Maultrommeln und Percussions eröffnen „Nei Deoffa“, welches dann von seinem herrlichen Zwiegesang lebt und später zu einem Shuffle-Landler mutiert. Auch nicht schlecht und mal ganz was anderes. Beim „Appenzeller“ kommt dann afro-karibisches Flair auf, die Percussions könnten genausogut in einem Santana-Song für Rhythmus und Groove herhalten, dann sorgt die Quetschn für die Volksmusikelemente und die Gitarre für die Rock-Zutaten, Highlights sind hier sicher zuerst das Quetschn-Solo und später das Gitarren-Solo. Musikalisch absolut cool und sehr solide gespielt!
Ein näherkommendes Moped-Geräusch eröffnet „Buama, heit gehts lusti zua“, eine Polka mit E-Gitarren-Licks, – mal im 2/4 Takt, dann wieder im 3/4 Takt, was schon als Volx-Fusion-Prog durchgeht! Alles in allem eine beschwingte Nummer, die einmal mehr speziell durch die mehrstimmigen Vocals besticht! Das „Bindaliad“ beginnt mit dem für Schuhplattler typischen „Doppelklatscher“ im 3/4 Takt, dazu kredenzen die Öller’s mehrstimmigen Gesang samt „Holzknecht-Bass“. Ein Kuh-muhen leitet eine Modulation ein, eine Maultrommel gesellt sich zum „Doppel-Pascher“ und ein fetziges, rockiges Gitarrensolo ist das Sahnehäubchen. Schräg und interessant, cool und geil! „Fia d’Zukunft“ ist dann der letzte Track und erinnert musikalisch an den ersten Song, zumindest vom Feeling, – nur diesmal ein Soundtrack für einen Pippi Langstrumpf-Film. Akustikgitarren und dann ein lässiges Ziehharmonika-Solo, dieser Instrumentaltitel wandelt sich mit dem Einstieg der Flöten urplötzlich in einen irisch-angehauchten Folk-Tune und der hinzukommende Chor (ohne Text) lässt den Song gar zur Hymne wachsen und versprüht einen feierlichen Touch. Um diese Jahreszeit ist man sogar verführt zu schreiben: einen „weihnachtlichen Touch“… Und wenn dieser wunderbare Song vorbei ist, kommt dann noch unverhofft der „Herzenstest“: eine herzige Kinderstimme sagt vollkommen frei von der Leber weg: „I wünsch ma, dass‘ olle Mensch’n guad geht! Fia hiazt und fia d’Zukunft!“ Und wer dann keine feuchten Augen bekommt, hat den Herzenstest nicht bestanden. Ein bewegender und rührender Moment, mit dem man nicht gerechnet hatte.
Ich hatte auch – ehrlich gesagt – nie und nimmer mit einer derart lockeren Herangehensweise an das Thema Volksmusik-meets-weiss-der-Kuckuck-was-Alles gerechnet, der glasklare Sound verwöhnt die Ohren und dann schaffen die Öller-Leut‘ auch noch locker den Spagat zwischen Unterhaltungswert und musikalischem Anspruch! Alle Achtung, eine der besten CDs des Jahres und die beste CD in ihrem Genre sowieso! Da kann sich der Herr Gabalier samt den Seern ein dickes Scheibchen abschneiden!
Rating: 9 von 10 Punkten!
Review by TOM PROLL
- Öller Peter: Akkordeon, Gesang
- Öller Christine: Gesang, Mandoline
- Öller Alexander: Schlagzeug, Gesang
- Öller Simon: Gitarre, Gesang
- Öller Paul: Gesang, Bass
- Thaller Verena: Gesang, Percussion
Discografie:
- „Leitln miaßts lustig sein“ (EP), 2009
- „Drei Tog“ (CD), 2012
- „In Heobiö eu“ (CD), 2015